Bestandsermittlung von Vorräten und Nachweispflicht
Die korrekte Ermittlung der Vorräte ist eine zwingende Anforderung des Schweizer Rechnungslegungsrechts und muss zuverlässig und nachprüfbar erfolgen.
1. Die Gesetzliche Grundlage
Die zentrale Vorschrift bildet Art. 958c Abs. 2 OR:
„Der Bestand ist durch ein Inventar oder auf andere Art nachzuweisen.“
Dies bedeutet, dass eine der folgenden Methoden gewählt werden muss, wobei die Methode stetig angewendet werden und den Grundsatz der wesentlichen Richtigkeit erfüllen muss.
2. Die Zulässigen Hauptmethoden
| Methode | Beschreibung | Schlüsselanforderung für KMU |
|---|---|---|
| Inventar (Körperliche Inventur) | Zählen, Messen und Wiegen der physisch vorhandenen Artikel zu einem bestimmten Stichtag (oder zeitnah). | Hohe Genauigkeit und unzweifelhafter Nachweis. Ideal für KMU mit überschaubaren Lagern. Die Inventur muss vollständig dokumentiert werden. |
| Auf andere Art (Permanente Inventur) | Der Bestand wird laufend in einer Lagerbuchhaltung (Warenwirtschafts-/ERP-System) erfasst. Der Stichtagsbestand wird aus dem System übernommen. | Erfordert ein diszipliniertes IKS (Internes Kontrollsystem). Muss mindestens einmal jährlich durch eine körperliche Kontrollzählung (rollierende Inventur) mit dem tatsächlichen Bestand abgeglichen werden. |
3. Was ist nicht zulässig für den Nachweis?
Einige Vorgehensweisen erfüllen die Nachweispflicht nicht und sind daher im Jahresabschluss nicht ausreichend:
- Der Blosse Augenschein: Ein rein optischer Überblick ohne tatsächliche Zählung, Messung oder Wiegen ist nicht nachprüfbar und verstösst gegen die Grundsätze der ordnungsgemässen Rechnungslegung.
- Die Übernahme der Vorjahresliste: Die Verwendung der Inventurliste des Vorjahres ohne eine aktuelle körperliche oder systemgestützte Mengenerfassung ist nicht zulässig. Die Inventarwerte müssen den tatsächlichen Bestand des aktuellen Stichtags widerspiegeln.
- Fehlende Dokumentation: Jede Zählung, auch die Kontrollzählung bei permanenter Inventur, muss mit Datum, Menge, Artikelbezeichnung und der Unterschrift der zählenden Person dokumentiert werden.
4. Vereinfachungsmöglichkeiten für KMU
KMU können den Aufwand durch zulässige Vereinfachungen reduzieren:
- Verlegte Inventur: Die Zählung erfolgt einige Wochen vor oder nach dem Stichtag. Der Bestand am Stichtag muss dann lückenlos und belegmässig über die Zu- und Abgänge des Zwischenzeitraums zurückgerechnet oder fortgeschrieben werden.
- Stichprobeninventur: Für sehr umfangreiche Bestände kann ein mathematisch-statistisches Verfahren angewendet werden, um den Gesamtbestand aus einer gezählten Stichprobe hochzurechnen. Dies ist jedoch komplex und erfordert externe Expertise oder entsprechende Systemunterstützung.
Kernbotschaft: Der Bestand muss mengenmässig nachgewiesen werden, entweder physisch (Inventur) oder buchmässig (permanente Inventur mit physischer Kontrolle). Ein Augenschein ohne dokumentierte Zählung reicht dafür nicht aus.

Adrian Scholze
Michael Kurz
